Volkstrauertag
Ehrenmal Sprötze
Rede des Ortsbürgermeisters zum Volkstrauertag
Liebe Sprötzerinnen und Sprötzer, liebe Gäste,
wir haben uns hier versammelt um am Volkstrauertag einige Minuten gemeinsam... ja?... zu trauern?
Trauern...
Jeder von uns kennt das Gefühl des Trauerns.
Wenn Verwandte, gute Freunde, Eltern oder gar Kinder sterben, überfällt uns dieses beklemmende Gefühl der Hilf- und Machtlosigkeit, die Frage nach dem Warum und die Erkenntnis über Begrenztheit alles menschlichen Seins.
Müssen wir uns dieser Trauer aber gemeinsam, an genau einem Tag im Jahr erinnern?
Ich glaube nicht.
Trauern ist ein sehr individueller Vorgang, der sich nicht an Feiertagen festmachen lässt, sondern vielmehr durch kleine alltägliche Vorkommnisse angestoßen, immer wieder in uns geschieht.
Das Lächeln, das einer Verstorbenen hatte, die dummen Sprüche vom verblichenen Onkel Erwin, oder eine Namensgleichheit mit der verstorbenen Tochter... das sind diese kleinen Anstöße, die uns ganz persönlich trauern lassen.
Es werden aber immer weniger Menschen, die den letzten Krieg miterlebt haben, und es werden zukünftig immer weniger Menschen sein, deren Freunde oder nahe Verwandt in den grausamen Kriegsgeschehen umgekommen sind.
Damit schwindet auch die Zahl der Menschen, die an so einem Tag wie heute tatsächlich trauern können.
Wir sollten neben der Trauer um die Verstorbene also vermehrt das Gedenken in den Vordergrund bringen, um auch den zukünftigen Generationen einen Sinn für den heutigen Tag zu liefern.
Als dieser Tag ein staatlicher Feiertag wurde hieß er „Heldengedenktag“.
Weil staatlich verordnetes Morden nicht das Geringste mit Heldentum zu tun hat, können wir die Helden getrost streichen.
Wir wollen einfach nur „gedenken“
Gedenken derer, die- in uns heute sinnlos erscheinenden Gewaltaktionen getötet wurden, aber auch derer, die sich durch die Flötentöne irgendwelcher Rattenfänger haben hinreißen lassen, diese Gewalttaten zu begehen.
Nicht dass wir diese Gewalttaten gutheißen wollen... nein.. allein die Tatsache, dass es möglich war, ganze Völker in Hass und Gewalt aufeinander zu hetzen, sollte uns zu denken geben.
Sollte uns sensibel machen für die modernen Flötentöne der neuzeitlichen Rattenfänger.
Ich selber habe mich dabei ertappt, wie ich gebannt am Fernseher saß, als der böse böse Saddam Hussein wegen seiner Massenvernichtungswaffen mal so ordentlich einen auf die Mütze bekam.
Man zeigte uns die chirurgische Präzision mit der ferngesteuerte Waffen die militärischen Ziele zerstörten. Und wir Zuschauer hatten so ein Gefühl wie: „Recht geschieht es dem alten Halunken“.
Aber irgendwann wurde mir klar, dass ich selber, - wie schon vor 75 Jahren meine Eltern- auf die Flötentöne eines Rattenfängers hereingefallen bin.
Massenvernichtungswaffen im Irak? Chirurgische Präzision?
Völliger Humbug!
Der Anteil der ermordeten Zivilbevölkerung war noch nie so groß wie bei diesen „Chirurgen“.
Die Massenvernichtungswaffen waren Erfindung von Geheimdiensten und Regierungen, um uns in die richtige Stimmung zu bringen.
Wer von uns hat sich nicht arg verkaspert gefühlt als das raus kam, und sich vielleicht ein wenig geschämt, wegen seiner Leichtgläubigkeit?
Lassen Sie uns deshalb den heutigen Tag zum Anlass nehmen, in Gedenken an die Millionen Menschen, die im Verlauf von kriegerischem Gezänk gelitten oder sogar ihr Leben gelassen haben, selbstkritisch die Flötentöne der Rattenfänger zu entlarven.
So könnte das Gedenken an Leid und Elend der Beteiligten dazu beitragen, dass zukünftige Konflikte ohne Waffen, Hass und Gewalt beigelegt werden.
Eine Hoffnung, die allerdings nur schwach glimmt, wenn man die aktuellen Nachrichten verfolgt.
Im Nahen Osten tobt der Terror. Politische, soziale, historische und religiöse Begründungen werden bemüht, die begangenen Gewalttätigkeiten zu rechtfertigen.
Aber gibt es überhaupt einen Berechtigung dafür, dem andersdenkenden Nachbarn den Schädel einzuschlagen?
Wir selber sollten uns allerdings nicht über die Streithähne in Nah-Ost erhöhen.
Es ist ja bereits wieder so weit, dass freiwillige Deutsche Soldaten in Plastikkisten verpackt von sogenannten Auslandseinsätzen in die Heimat verfrachtet werden.
Angesichts des Kriegs in Afghanistan wird uns klar, dass Krieg, Gewalt und Verfolgung keine Geißeln des vorigen Jahrhunderts sind.
Auch unser noch junges 21. Jahrhundert ist voller Konflikte, die Leid und Tod über Millionen Menschen bringen.
Unsere kleine friedliche Sprötzer Welt spiegelt nicht die Situation auf der Erde wider.
Auch wenn wir an diesem Tag der toten Soldaten gedenken, die im freiwilligen Einsatz im Ausland starben, so dürfen und müssen wir auch die Frage nach dem Warum stellen.
Die Antwort auf weltweite Terroranschläge war ein Krieg, den viele Soldaten und deutlich mehr Zivilisten mit dem Leben bezahlt haben.
Ein Krieg, so scheint es heute, der weit davon entfernt ist, Frieden und Demokratie zu bringen.
Unsere Parlamentarier haben uns diesen Auslandseinsatz zunächst als „Friedensmission“ zugeflötet.
Letztendlich haben wir aber junge Leute hinaus in ein Land geschickt
in dem sie nicht willkommen sind
in dem ihr Dienst nicht anerkannt wird
in dem ihre Opfer nicht geachtet werden
in dem ihre Uniform verhasst ist
und in dem ihr Einsatz inzwischen als „Krieg“ bezeichnet wird
Und es ist doch eher so:
dass kein Krieg heilig ist (weder mit Kreuz noch mit Halbmond)
dass kein Krieg -auch nicht mit den modernsten Waffen- so geführt werden kann, dass Unschuldige verschont bleiben.
Und es ist doch so:
dass Gewalt immer wieder neue Gewalt hervorbringt
und dass Terror immer neuen Terror erzeugt.
Deshalb muss heute auch jeder für sich entscheiden, ob die Toten, derer wir gedenken, uns nicht auch zuflüstern:
Hej, wir haben uns geirrt!
Es ist keine Ehre, für irgendein gottverdammtes Vaterland und dessen Verlangen nach Siedlungsraum, Rohstoffen oder Ansehen in der Welt zu sterben.
Krieg findet kein Ende, wenn ihr nicht endlich konsequent damit aufhört!
In Gedenken an die Millionen Gequälten und Toten aus den Kriegen dieser Erde und in Hoffnung auf die Einsicht, dass Krieg kein adäquater Lösungsansatz im 21. Jahrhundert mehr sein kann, lege ich diesen Kranz nieder.